HELENE LÖWENHERZ
Das Wienerstraßenbad, ein historischer Ort am Mühlgang im Grazer Bezirk Lend, hat im Laufe der Jahre viele Veränderungen erfahren. Die Ausstellung „Wienerstraßenbad – Einst und Jetzt“, gestaltet von Living Rooms und einem Team der Natur.Werk.Stadt, dokumentiert die Entwicklung des Grazer Mühlgangs von seinen Ursprüngen bis heute sowie den damit verbundenen Wertewandel.
Das „Wertschätzungszentrum“ in der Wiener Straße 121 geht seinen Wurzeln auf den Grund. „So wie sich die Badekultur in Österreich von reiner Hygiene im Lauf der Zeit zu Freizeitsport entwickelt hat, schaffen wir von der Natur.Werk.Stadt heute einen Erlebnis- und Lernraum für mehr Wertschätzung gegenüber Mensch und Natur“, zieht Daniela Zeschko, Leiterin des Projektes Natur.Werk.Stadt gemeinsam mit Franziska Schruth vom Verein LIVING ROOMS für die aktuelle Ausstellung Parallelen in die Vergangenheit des ehemaligen Kassahäuschens des Wienerstraßenbades.
Seit Jahrhunderten dient der bereits 1463 erstmals urkundlich erwähnte linke Grazer Mühlgang, ursprünglich ein natürlicher Seitenarm der Mur, den Menschen als Lebensader. Genauso lang erfordern die unterschiedlichen Bedürfnisse der Anrainer:innen Aufmerksamkeit und gegenseitige Wertschätzung. Da die Wasserstände der Mur zu stark schwanken, nutzten Gerbereien, Wäschereien und Fabriken den Mühlgang genauso wie die Bewohner:innen ihn zur Körperpflege und Abfallentsorgung brauchten.
1902 eröffnete auf dem Areal der Wiener Straße 121 das erste Freibad. Wildes Schwimmen im Mühlgang wurde unter Strafe verboten. Verunreinigungen sorgten immer wieder für Konflikte, so wurde etwa im Jahr 1914 der von vorbeifahrenden Automobilen und Wagen aufgewirbelte Staub mehrmals täglich mit einem Spritzwagen entfernt, da der Badebetrieb sonst unmöglich gewesen wäre. Später bekämpfte der Industrielle Viktor Franz jahrzehntelang den Badebetrieb. „Der aktendicke Schriftverkehr ging bis Wien – letzten Endes allerdings erfolglos, und das nach der Bombardierung im 2. Weltkrieg in den 50er Jahren wieder erbaute Schwimmbad behielt seine wasserrechtliche Bewilligung“, erzählt Ausstellungsleiterin Daniela Zeschko.
1974 wurde das Wienerstraßenbad endgültig geschlossen – die Wasserqualität war aufgrund der entlang der Mur angesiedelten Industrie auf Güteklasse 4 von 5 gesunken und ein Baden nicht mehr möglich. Das Areal fiel in einen 20-jährigen Dornröschenschlaf und im Schwimmbecken wuchsen langsam Bäume. Dann verwandelte die Stadt Graz das Becken zu einem Teich und es entstand ein öffentlich zugänglicher Park auf dem Grundstück. Dem ehemaligen Kassenhäuschen nahm sich der Künstler und Restaurator Bernd Drexler 1999 auf eigene Kosten an und nutzte es für weitere 20 Jahre.
2020 eröffnete schließlich das erste österreichische Wertschätzungszentrum im neu renovierten Häuschen am Mühlgang, zu dem auch ein ca. 1000m² großer Garten in der Leuzenhofgasse 2 gehört. Der erste Lockdown 2020 wirke in diesem Fall wie ein Turbo. Der Ort sollte einmal der Wertschätzung dienen, erinnert sich Leiterin Daniela Zeschko: „Ich wehrte mich damals vehement dagegen, unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus dem gemeinnützigen Beschäftigungsprojekt Natur.Werk.Stadt, die ohnehin schon unter Ausgrenzung litten, nach Hause zu schicken. Um Arbeitsplätze zu erhalten und den Menschen sinnstiftende Arbeit zu geben, forcierten wir die Arbeit rund um das Wertschätzungszentrum. Mit Erfolg.“
Kurzerhand schuf sie in Zusammenarbeit mit den steirischen Pfadfindern und Pfadfinderinnen und dem Verein JUKUS im Kassenhäuschen einen Ort der Begegnung: Menschen, die aus verschiedensten Gründen wie Krankheit, Karenz oder Bildungsproblemen seit längerer Zeit keiner Erwerbsarbeit nachgehen konnten, finden hier heute wertschätzende und sinnstiftende Beschäftigungsmöglichkeiten. Das Ziel dabei ist es, für die Mitarbeiter:innen einen Übergang hin zu langfristigen Arbeitsplätzen zu schaffen. 2024 übernahm der Verein LIVING ROOMS die Trägerrolle an dem Standort. Heute bietet das Projekt Natur.Werk.Stadt gemeinsam mit den anderen Partnern, wie dem Echo Jugendzentrum, im gemeinschaftlich genutzten benachbarten Garten niederschwelligen Zugang zu Natur und Naturschutz mitten in der Stadt. Damit die gegenseitige Wertschätzung weiterwächst.
Die Ausstellung „Wienerstraßenbad einst und jetzt“ richtet sich sowohl an diejenigen, die den Ort aus früheren Zeiten kennen, als auch an alle, die seine Geschichte neu entdecken möchten.
Die Veranstaltung ist für alle Besucher:innen kostenfrei.
Zeitzeug:innen können sich gerne unter 0676 6674650 melden. Wir freuen uns Ihre Erinnerungen bei einem Kaffee oder Tee in der Ausstellung dokumentieren zu dürfen.
Wann: Eröffnung am 5.12.2024 um 17 Uhr 30
Öffnungszeiten ab 6.12.2024:
Dienstag und Donnerstag 16 – 18 Uhr, Mittwoch 9 – 12 Uhr, Samstag 14.12. 16 – 18 Uhr, sowie individuell auf Anfrage unter 0676 6674650.
Wo: Wiener Straße 121, 8020 Graz